Leitlinie Kleintierimpfungen? Da wird drauf gepfiffen


Seit 2006 gibt es auch in Deutschland Impfempfehlungen für die Kleintierpraxis, in denen man ein klein wenig von der jährlichen Komplettimpfung abrückt. Für einige Impfstoffe wird ein Nachimpfintervall von drei Jahren empfohlen (Staupe, Parvo, Hepatitis beim Hund, Seuche bei der Katze). Eine wissenschaftliche Basis hat auch die dreijährliche „Auffrisch“-Impfung nicht. Vielmehr ist durch Studien belegt, dass die Impfungen gegen diese Erreger weit mehr als drei Jahre schützen.

Immerhin signalisiert die Dreijahresempfehlung für einige Impfungen, dass auch die deutsche Veterinärmedizin auf die wachsende Kritik an der jährlichen Impferei in den Kleintierpraxen reagieren möchte. Seit 2009 werden die Impfempfehlungen als „Leitlinie“ bezeichnet. Leitlinien haben in der Humanmedizin ein hohes Renommee, was dort steht, gilt als Stand des Wissens und als medizinischer Standard. Allerdings wird dieses Renommee durch die Tatsache getrübt, dass manche ihrer Autoren mit der Pharmaindustrie finanziell verflochten sind und somit monetäre Interessen in die Leitlinien einfließen.

Urheber der „Leitlinie zur Impfung von Kleintieren“ ist die „Ständige Impfkommission Vet im Bundesverband Praktizierender Tierärzte e. V.“. Diese Kommission aus Veterinären, bzw. Veterinärprofessoren ist also angesiedelt in einem Verband, der vor allem die wirtschaftlichen Interessen von praktischen Tierärzten vertritt. (In der Humanmedizin werden Leitlinien von wissenschaftlichen Fachgesellschaften erarbeitet, nicht von Vereinen mit wirtschaftlicher Ausrichtung.)

Im Vergleich zu den US-Impfempfehlungen für Katzen und Hunde fällt die deutsche „Leitlinie“ stark ab, sie wirkt geradezu zusammengeschustert. Weder die Studien zur Dauer des Immunschutzes der wichtigen Impfungen („core vaccines“) noch die Studien zu Impfnebenwirkungen werden erwähnt. Impfnebenwirkungen kommen in der deutschen „Leitlinie“ überhaupt nicht vor, in den US-Guidelines hingegen werden sie ausführlich behandelt.

Das ist alles unerfreulich, dennoch könnte die „Leitlinie“ als – wenn auch kleiner – Fortschritt gewertet werden, da ja wenigstens angedeutet wird, dass Tierärzte die Hunde und Katzen nicht jedes Jahr mit allem, was der Markt an Impfstoffen hergibt, traktieren sollten.

Bei den Tierärzten scheint diese Botschaft allerdings bisher kaum anzukommen. Auch im Jahr 2011 finden sich im Web massenhaft Tierarzt-Homepages, in denen unverdrossen die jährliche Komplettimpfung propagiert wird. Berichte von Tierhaltern bezeugen, dass die Einladung zur jährlichen Komplett-„Auffrisch“-Impfung eher die Regel als die Ausnahme ist. Sogar von der jährlichen Tollwutimpfung wollen etliche Tierärzte nicht lassen, und das, obwohl Deutschland seit Herbst 2008 offiziell tollwutfrei ist.

Auf die „Leitlinie“ wird also weitgehend gepfiffen, sie interessiert viele praktische Tierärzte überhaupt nicht, und es scheint auch völlig egal zu sein, ob sie von den Praktikern beachtet wird oder nicht. Tierhalter/innen müssen sich also nach wie selbst darum kümmern, dass ihre Tiere nicht häufiger als nötig geimpft werden – und dass sie möglichst nur diejenigen Impfstoffe erhalten, deren Nutzen erwiesen ist.

Ein interessanter Aspekt ist darüber hinaus, wie sich nationale und internationale Impfempfehlungen oder Impfleitlinien unterscheiden: zum Beispiel die des Weltkleintierarztverbands WSAVA, der deutschen Stiko Vet und des europäischen ABCD, einer von Merial gesponserten Organisation, die sich mit Katzenkrankheiten befasst. Dazu demnächst mehr.
 

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