Grundimmunisierung und Teilimmunisierung – noch mal alles von vorn?


Grundimmunisierung ist ein Begriff, der in der Kleintiermedizin regelmäßig falsch angewendet wird. 

Korrekt ist er dann, wenn es um Impfstoffe geht, die – unabhängig vom Alter – erst nach mehrmaliger Gabe die gewünschte Immunreaktion bewirken und/oder keinen lebenslangen Schutz verleihen und daher Auffrischungen erfordern

Beispiel in der Humanmedizin: Tetanus oder Diphtherie. Beispiel in der Kleintiermedizin: Lepto oder Borreliose. 

Nicht korrekt ist er dann, wenn es um Viruslebendimpfstoffe geht, also etwa um die Impfstoffe gegen Masern-Mumps-Röteln beim Menschen oder die Impfstoffe gegen Staupe-Hepatitis-Parvo beim Hund. 

Kleinkinder werden gegen Masern-Mumps-Röteln NICHT „grundimmunisiert“. Sie werden schlicht und einfach geimpft. Das geschieht zweimal hintereinander – aber nicht, weil eine einzige Impfung grundsätzlich nicht reichen würde, sondern weil nicht alle Kinder auf die erste Impfung ausreichend reagieren. Früher war die Rede von fünf bis zehn Prozent aller Impflinge, heute liest man von bis zu fünf Prozent. Die meisten Kinder sind also mit einer einzigen Impfung hinreichend immunisiert, man impft aber trotzdem alle zweimal, weil eine Titerbestimmung nach der Erstimpfung als zu teuer gilt. (Abgesehen davon, dass man den Kindern Blut abzapfen müsste.)

Wiederholungsimpfungen gegen Masern sind NICHT vorgesehen. Kein Mensch geht jährlich oder alle drei Jahre oder alle fünf Jahre zum Arzt, um sich seinen Masern-Booster abzuholen. 

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Viruslebendimpfstoffe für Haustiere funktionieren kein bisschen anders als Viruslebendimpfstoffe für Menschen. 

Das Immunsystem von Menschen (= Säugetier) folgt demselben Bauplan wie das Immunsystem von Katzen oder Hunden (= Säugetiere). 

Hundewelpen werden NICHT deshalb mehrmals hintereinander gegen Staupe-Hepatitis-Parvo (= SHP = Viruslebendimpfstoffe) geimpft, weil erst mehrere Impfungen ausreichend wirksam wären, sondern weil man nicht weiß, wann genau die Impfung greift. 

Bums, aus, fertig. 

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Ganz besonders grauslich wird’s in der Kleintiermedizin, wenn es um unterbrochene Immunisierungen bei Welpen (gegen SHP) oder um Teilimmunisierungen (weniger als zwei Impfungen gegen Lepto) geht. 

Schauen wir mal, was die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut in ihren aktuellen Impfempfehlungen zu diesem Thema sagt. 

Nämlich dies:

„Teilgeimpfte Personen

Bei teilimmunisierten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zählen bisher dokumentierte Impfungen, sofern der Mindestabstand zwischen den einzelnen Impfstoffdosen nicht unterschritten wurde (…)


Jede Impfung zählt!


Das bedeutet, dass es grundsätzlich keine unzulässig großen Abstände zwischen den Impfungen gibt. In der Regel muss auch bei einer für viele Jahre unterbrochenen Grundimmunisierung (…) die Impfserie nicht neu begonnen werden. Auch eine nicht rechtzeitig gegebene Auffrischimpfung kann zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.“
(Hervorh. in Rot MP)

Soweit die Stiko. 

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In der Kleintiermedizin wird regelmäßig so geimpft, als gäbe es keine Immunologie (= Wissenschaft vom Immunsystem). 

Beispiel aus der aktuellen Zuschrift einer Leserin, die als Pflegestelle Hunde aufnimmt: 

„Der Hund hatte im September die erste Impfung, kam im Oktober zu mir. Da mir die Orga nicht gesagt hat, dass die Grundimmunisierung noch nicht vollständig ist, bin ich natürlich nicht zum TA gegangen. Letzte Woche war ich dann mit dem Hund wegen etwas anderem beim TA, wo man mir erklärte, dass man das jetzt noch mal von vorn beginnen müsste. Ich kapier’s nicht.“
(Leider hat die Leserin keine Angaben zum Alter des Hundes gemacht.)

Eine verständliche Reaktion, denn das ist ja auch nicht zu kapieren. 

1. Der Hund muss NICHT noch einmal wie ein Welpe ganz von vorn, dh dreimal hintereinander geimpft werden. Denn wie sagt die Stiko: Es gibt keine unzulässig großen Abstände zwischen Impfungen (wohl aber unzulässig geringe Abstände). 

2. Hatte der Hund seine letzte Impfung bei der Tierschutzorga (vermutlich eine große Kombi SHP plus Pi = Parainfluenza = Zwingerhusten plus Lepto = SHPPi/L) im Alter von 16 Wochen oder später, braucht er für den SHP-Schutz keine weitere Impfrunde mehr. In dem Alter sollte das nämlich funktioniert haben. 

Hatte er seine letzte Impfung bei der Tierschutzorga im Alter von unter 16 Wochen und ist er jetzt 16 Wochen alt oder älter, sollte er noch einmal gegen SHP geimpft werden (oder halt gegen SHPPi/L, wenn man das wünscht). Denn bei unter 16 Wochen alten Welpen kann es sein, dass die vorherige SHP-Impfung noch nicht angeschlagen hat. Er hat also möglicherweise noch keinen Impfschutz für SHP. 

3. Handelt es sich sowieso um einen ausgewachsenen Hund, reicht die EINE Impfrunde gegen SHP, die er bei der Tierschutzorga hatte. Denn das sind ja Viruslebendimpfstoffe. Es gibt keinen Grund, ihn jetzt noch einmal oder gar mehrmals dagegen zu impfen. 

4. Hat der ausgewachsene Hund bei der Tierschutzorga nur eine Impfung gegen Lepto gehabt (zusammen mit SHPPi), kann man sich überlegen, ob man ihn noch einmal gegen Lepto (mit Einzelimpfstoff) nachimpfen lässt. (Wenn man die Lepto-Impfung für unbedenklich hält.)

Noch mal in einfacheren Worten: 

Es gibt KEINEN Grund, diesen Hund noch einmal ganz von vorn zu impfen. Die vorherigen Impfungen ZÄHLEN. 

Ob eine weitere Impfrunde nötig ist, ist abhängig von seinem Alter. 
Und ggf. abhängig davon, ob man die Lepto-Impfung komplettieren will. 

Das gilt auch für die Tollwutimpfung, falls er bei der Tierschutzorga dagegen geimpft wurde. (Was bei einem Hund vom Auslandstierschutz anzunehmen wäre.) Eine weitere Tollwutimpfung wäre erst zu dem Zeitpunkt fällig, der als Gültigkeitsdauer dafür im Impfpass steht. 


PS: Wie die Leserin inzwischen mitgeteilt hat, ist der Hund fünf Jahre alt … Warum man einen ausgewachsenen Hund so impfen soll wie einen Welpen (der noch die Impfung blockierende Antikörper von der Mutter haben könnte), bleibt das Geheimnis des betreffenden Tierarztes. Mysteriös ist auch seine Auffassung, dass der Hund noch mal ganz von vorn geimpft werden müsste. 

©haustiereimpfenmitverstand.blogspot.de/


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