DOI und Titerkontrollen: Das seltsame Heckmeck in der Tiermedizin

Durch ein technisches Versehen 

– auf die falsche Taste gedrückt – 

haben wir unseren Beitrag „Dauer des Impfschutzes – Gewissheiten in der Humanmedizin, bloße Vermutungen in der Tiermedizin?“ gelöscht. 

Weil wir keine Lust haben, den Beitrag zu rekonstruieren, hier jetzt in etwas anderer Form ein paar Fakten zum Thema DOI (duration of immunity, Schutzdauer) und Titer.


1. Dauer des Impfschutzes in der Humanmedizin

In der Humanmedizin wird NICHT vorsorglich jährlich oder dreijährlich nachgeimpft, obwohl man bei der Einführung neuer Vakzinen GAR NICHT WEISS, wie lange der Impfschutz hält. 
Vielmehr trifft man immunbiologisch begründete Annahmen zur Dauer der Immunität. 

Das wird dann epidemiologisch und durch Titermessungen bei einer KLEINEN Zahl von Impflingen kontrolliert. 

Woher weiß man, dass die Masernimpfung lebenslang hält? (Masern = Menschenstaupe) 

Antwort: Man weiß es gar nicht. Man nimmt es nur an.

Man kann es auch noch gar nicht wissen, weil die Impfung erst seit ca 50 Jahren üblich ist, und Menschen leben (in den reichen Ländern) im Schnitt weit länger.  

Trotzdem wird nicht „aufgefrischt“, und man macht auch keine flächendeckenden Titerkontrollen. 

Wenn also Veterinärimpfexperten in den WSAVA-Welpenrichtlinien schreiben, der SHP-Schutz halte „probably“ (wahrscheinlich) lebenslang, tun sie nichts anderes als ihre Kollegen in der Humanmedizin: Sie treffen eine begründete Annahme. 

In der Humanmedizin wird niemand deshalb hysterisch, und keiner schreit nach Auffrischung oder Titerkontrolle



2. Professor Ron Schultz zur DOI von SHP

Ron Schultz, Mitglied der WSAVA-Impfkommission, geht allerdings weiter. Er hat sich vor einigen Monaten gegenüber einem US-Fernsehsender wieder einmal in aller Klarheit zur Dauer der Immunität (DOI) geäußert. Er sei sehr enttäuscht darüber, dass Tierärzte immer noch jährlich gegen SHP nachimpfen, „wo wir doch wissen, dass das lebenslang hält“ (Übers. MP).

Woher weiß Schultz das? 

Erstens werden die Hunde in seiner Familie seit den 70er Jahren nur ein- oder zweimal als Welpen gegen SHP geimpft und dann nie wieder. Mit bestem Erfolg. 

Zweitens macht er selbst seit Jahrzehnten Langzeit-Titermessungen und Challenge-Studien. 

Drittens zeigen alle seriösen Studien, dass das Vorhandensein von Titern für S und P nicht vom Zeitabstand zur Impfung und auch nicht von der Zahl der „Auffrischungen“ abhängt. Hund als Welpe geimpft, 15 Jahre später immer noch Titer für S und P. Ganz ohne „Auffrischung“. Überraschend ist das übrigens nicht. Auch Tiere haben ein Immungedächtnis. 


3. Ist ein Titer nur eine Momentaufnahme?


In der Humanmedizin jedenfalls nicht. 

Bei den allermeisten Impfungen werden sowieso überhaupt keine flächendeckenden Titerkontrollen gemacht. Nicht direkt nach der Impfung, um zu schauen, ob’s funktioniert hat, und auch nicht Jahre danach, um zu schauen, ob’s noch hält. 

Man verlässt sich darauf, dass Impfungen bei den allermeisten Leuten klappen. 

Titer werden zu wissenschaftlichen Zwecken gemessen, und zwar für die Studien vor und nach der Einführung NEUER Impfstoffe

Aber nur bei einer relativ kleinen Zahl von Impflingen.  

Aktuelles Beispiel: die HPV-Impfung. 

Gemessen wird bei frisch geimpften Personen, um festzustellen, ob die Impfung greift (Antikörper als Surrogatmarker für den Impferfolg). Spätere Messungen, je nach Impfstoff in mehr oder weniger großen Zeitabständen, dienen dazu, die Annahmen zur DOI zu prüfen.  

Kein Mensch wird dauernd zur Ader gelassen, um zu schauen, ob er noch Impfschutz hat. 


4. Titer-Hysterie, Teil 1   

Hierzu noch einmal ein Blogbeitrag von 2013: 

Ein sinnloses Telefonat über Staupe-Titer


„Guten Tag, ich bin XY, habe Ihr Buch gelesen und hätte mal eine Frage wegen Staupe-Titern.“


„Ich höre.“

„Also, ich bin ja ganz impfkritisch und will nicht so viel impfen. Wir haben jetzt aber Fuchsstaupe in der Gegend, und da habe ich bei meinem Hund den Staupe-Titer messen lassen. Der ist 1:32. Das Labor sagt, das ist nicht genug.“


„Jeder messbare Titer zeigt an, dass die Impfung geklappt hat und dass ein Immungedächtnis angelegt wurde. Das ist nicht meine Privatmeinung, sondern das, was die führenden Experten auf diesem Gebiet sagen.“

„Aber das Labor sagt doch, dass der Titer nicht reicht.“

„JEDER MESSBARE TITER ZEIGT AN, DASS DIE IMPFUNG GEKLAPPT HAT UND DASS EIN IMMUNGEDÄCHTNIS ANGELEGT WURDE.“

„Ja, aber wenn das Labor doch sagt …“

„Staupe und Masern sind sehr eng miteinander verwandte Viren. Werden bei Menschen Titer gemessen, wenn Masernfälle auftreten? Werden ordnungsgemäß maserngeimpfte Menschen nachgeimpft, wenn Masernfälle auftreten?“

„Äh, nein. Aber wenn das Labor doch sagt …“

„Wissen Sie, dieses Gespräch ist sinnlos. Guten Tag.“

***


Hat das Labor eine wissenschaftliche Begründung für die Behauptung, ein Staupe-Titer von 1:32 sei ungenügend? Nein. 

Kann es wissenschaftliche Belege dafür liefern, dass „Auffrischimpfungen“ mit Viruslebendimpfstoffen beim nachweislich erfolgreich geimpften Tier einen Nutzen haben? Nein. 

Kann es uns erklären, warum „Auffrischimpfungen“ mit Viruslebendimpfstoffen wie zB Masern (= Menschenstaupe) in der Humanmedizin unbekannt sind? Nein. 

***

Für die, die’s nicht glauben wollen, zum x-ten Mal:

Dr. Jean Dodds, US-Tierärztin, Expertin für Impfungen und Impfschäden:

„ANY measurable titer to either distemper and parvovirus means that the dog has specific committed immune memory cells to respond and afford protection upon exposure.“


(JEDER messbare Titer für Staupe und Parvo bedeutet, dass der Hund spezifische Immungedächtniszellen hat, die bei Erregerkontakt aktiv werden und für Schutz sorgen. Hervorh. MP)

Welpen-Impfrichtlinien des Weltverbands der Kleintierärzte (WSAVA) 2013:

„The presence of circulating antibodies indicates that the dog is immune.“

(Das Vorhandensein zirkulierender Antikörper zeigt an, dass der Hund immun ist. – Es wird also nicht gesagt: Das Vorhandensein zirkulierender Antikörper in Höhe von mindestens 1:XY zeigt an, dass der Hund immun ist.)

***

Die neuen Titerschnelltests für die Praxis, die derzeit in den USA stark vermarktet werden, liefern überhaupt keine Titerwerte in Zahlen.

Sie liefern vielmehr ein Ja/Nein-Ergebnis. Also: Antikörper nachweisbar/Antikörper nicht nachweisbar. Und das genügt völlig. 

***

Aber so ein deutsches Vet-Labor weiß es natürlich besser, gell?




Die Titerei mit den Schnelltests ist natürlich beim ordnungsgemäß geimpften Tier genauso rausgeworfenes Geld wie die Nachimpferei. SINNVOLL IST DIE TITERMESSUNG NUR BEIM WELPEN ZUR KONTROLLE DES IMPFERFOLGS. Aber irgendwie müssen Tierärzte ja die Umsatzverluste seit dem Rückgang der Überimpferei kompensieren, und so verkaufen sie der Kundschaft halt statt Impfstoffen ihre Titertests. 

Ausreichend geimpft ist selbstverständlich auch ein Hund, der als Welpe nicht die empfohlenen drei Impfungen hatte, aber jenseits des jungen Welpenalters noch eine SHP-Impfung bekommen hat. 



4. Titer-Hysterie, Teil 2


Besonders in der Veterinärmedizin wird postuliert, nur ein hoher Antikörperspiegel verleihe Immunität. Bei niedrigem Antikörperspiegel sei der Schutz nicht mehr robust genug oder gar nicht mehr vorhanden, weshalb nachgeimpft werden müsse. 

Die Rolle der Gedächtniszellen wird in der Kleintiermedizin entweder völlig ausgeblendet, oder es wird unterstellt, dass ein niedriger Impftiter gleichbedeutend sei mit einem niedrigen Pool an erregerspezifischen Gedächtniszellen.

In der Humanmedizin sind Immunologen jedoch zu dem Schluss gelangt, dass Gedächtniszellen und Plasmazellen (= langlebige antikörperproduzierende B-Zellen) unabhängig voneinander reguliert werden und unabhängig voneinander zur Langzeitimmunität beitragen.
Bestätigt wurde dies u. a. durch die Ergebnisse einer schwedischen Forschergruppe, die untersucht hat, wie sich Gedächtniszellen und Antikörperantwort bei Kindern nach Impfung gegen Masern-Mumps-Röteln über die Jahre entwickeln. 

Ergebnis: Zwischen der Höhe des Impfantikörperspiegels und der Menge der erregerspezifischen Gedächtniszellen besteht keineswegs die enge Korrelation, die man zuvor angenommen hatte. 

Vielmehr liegt belastbare Immunität auch dann vor, wenn der Antikörperspiegel sehr niedrig (geworden) ist, und zwar durch die Gedächtniszellen

Also: Ein niedriger oder nicht mehr messbarer Impftiter bedeutet nicht, dass auch zu wenige Gedächtniszellen vorhanden wären. 



5. Titerkontrolle statt Auffrischung?  



Hierzu Auszüge aus einem Oldie in diesem Blog, und zwar aus dem Beitrag über die Gelbfieberimpfung (2013):

Den Heckmeck mit Titerkontrollen, der jetzt zunehmend in der Tiermedizin betrieben wird, kennt die Humanmedizin nicht.

Man verlässt sich darauf, dass die Immunisierung bei den allermeisten Impflingen funktioniert.

(Sogar bei der Gelbfieberimpfung, die nur EINMAL gegeben wird.)

Manche Veterinäre sind der Meinung, man müsse unbedingt die SHP-Antikörper messen, wenn Hunde nicht (mehr) jährlich oder dreijährlich gegen SHP nachgeimpft werden. Also regelmäßige Titerkontrolle statt regelmäßiger „Auffrischung“.  


Wenn das bei Menschen nicht üblich ist, warum muss das dann beim Hund sein? Ist der Impfschutz bei Menschen etwa weniger wichtig als der Impfschutz bei Hunden?

Oder geht’s hier einfach um die Kohle?

PS: Das ist eine rhetorische Frage. 



©haustiereimpfenmitverstand.blogspot.de/

4 Gedanken zu „DOI und Titerkontrollen: Das seltsame Heckmeck in der Tiermedizin“

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