Titer messen statt nachimpfen, das scheint seit einigen Jahren die Agenda im Hundeimpfbusiness zu sein.
Irgendwie muss man ja den Umsatzverlust durch längere Impfabstände wettmachen.
Selbst eigentlich vernünftige Hochschulveterinäre waren und sind sich nicht zu schade, Propaganda für die Titerei zu machen. Das läuft in den USA schon seit über zehn Jahren..
In diese Richtung geht eine neue Studie von der Uni München, bei der Parvo-Impftiter von 100 Hunden aus Privathaltung gemessen wurden (Riedl et al. 2016).
Als „protektiv“ wurde ein Titer von mindestens 1:80 festgesetzt.
86 Prozent der Hunde erreichten diesen Wert, obwohl nur 19 Prozent der Hunde leitliniengemäß geimpft waren.
Leitliniengemäß = drei Impfungen im Welpenalter, eine Impfung etwa ein Jahr danach, dann alle drei Jahre.
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Gar keinen messbaren Titer hatten nur fünf Hunde. Von denen war einer niemals geimpft worden und hatte auch selten Kontakt zu anderen Hunden. Von den übrigen vier waren zwei gemäß Leitlinie geimpft, zwei nicht.
Einer von diesen zwei leitlinien-geimpften Hunden war mindestens sechsmal gegen Parvo geimpft worden. Er reagierte nicht auf die Nachimpfung und wurde als Nonresponder eingestuft. Das Tier, ein Rottweiler, gehörte einem Veterinär, weshalb die Studienautoren annehmen, dass es dem Erreger in besonderem Ausmaß ausgesetzt gewesen sein müsse. In der Studie wird vermutet, dass der Rottweiler wahrscheinlich durch effektive zelluläre Immunität geschützt sei, denn er sei trotz wahrscheinlichen Virenkontakts nie an Parvo erkrankt.
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Ob „protektiver“ Titer oder nicht, alle Hunde wurden mit einer Staupe-Hepatitis-Parvo-Kombi nachgeimpft. Danach wurde der Parvo-Titer in verschiedenen Zeitabständen nochmals gemessen.
Bei 83 Prozent der nachgeimpften Hunde zeigte sich kein signifikanter, dh mindestens vierfacher Titeranstieg.
Von den 14 Hunden, die vorher keinen „protektiven“ Titer aufwiesen, hatten nur sieben einen signifikanten Anstieg.
Bei den anderen sieben ist die Nachimpfung also verpufft, obwohl sie ja einen angeblich zu niedrigen Titer hatten.
So, und jetzt kommt’s.
In der Discussion der Studie steht dies (Übers. MP):
„Es gibt jedoch Belege dafür, dass die Immunitätsdauer für Parvo im Feld nicht mehr als vier Jahre beträgt, da Hunde mit vier Jahren ohne Nachimpfung mit geringerer Wahrscheinlichkeit geschützt waren.“
Gemeint ist, dass sie den in dieser Studie geforderten, willkürlich festgesetzten MINDESTTITER eher verfehlten.
Insgesamt eine steile These, das mit den vier Jahren. Sie widerspricht anderen, größeren Titerstudien und basiert auf ganzen neun Hunden mit Parvo-Impfung vor mehr als vier Jahren.
Von den neun Hunden wiesen vier nicht die geforderten 1:80 auf. Aber: Bei sechs von den neun brachte die Nachimpfung KEINEN signifikanten Titeranstieg. Duh!
Weiter im Text.
Im übernächsten Satz heißt es dann (Übers. und Hervorh. MP):
„Weil nur eine kleine Zahl von Hunden tatsächlich von der Impfung einen Nutzen hatte, ist ein genereller Vorteil regelmäßiger Nachimpfungen nicht zu erkennen.“
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Wie? Was steht da?
Regelmäßige Nachimpfungen bringen nichts?
Wir sind baff.
Müssten die Richtlinien, Leitlinien etc. pp. dann nicht umgeschrieben werden?
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Abschließende Empfehlung der Studienautoren: Titerkontrollen sollten als Entscheidungshilfe für Nachimpfungen eingesetzt werden.
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Da drängt sich uns sofort die Frage auf: Warum eigentlich?
Warum interessiert sich kein Schwein für unsere Impftiter?
Warum muss der Impfschutz bei Hunden lebenslang engmaschig kontrolliert werden und bei Menschen nicht?
Schauen wir mal kurz in die Humanmedizin.
Wie ist das mit den Röteln-Impftitern bei Frauen im gebärfähigen Alter?
Das sagt das Robert-Koch-Institut:
„Der serologische Nachweis von Antikörpern ist nur bei Schwangeren ohne entsprechende Nachweise einer bestehenden Immunität (Ungeimpfte oder einmalig Geimpfte oder Impfanamnese unbekannt) sinnvoll. International wird als schützender Titer ein Wert von 10 bis 15 IU/ml im ELISA-Test angesehen. In Deutschland gilt bislang die Empfehlung der Diagnostik-Kommission der Gesellschaft für Virologie (GfV) und Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV), dass bei Werten zwischen 15 IU/ml und 34 IU/ml ein Zweittest herangezogen werden soll. Dafür kann der früher verwendete HHT eingesetzt werden, bei dem Titer ab > 1:8 als ausreichend positiv angesehen werden. Aufgrund der schlechten Standardisierbarkeit der Rötelnteste steht zu vermuten, dass in Zukunft der generelle Nachweis von Anti-Röteln-IgG-Antikörpern, d.h. ein grundsätzlich positives Testergebnis ausreichend sein wird.“ (Hervorh. MP)
Also: Wenn eine Frau zwei Rötelnimpfungen hatte (dokumentiert durch Impfpass o. ä.), wird gar nichts gemacht.
Da wird kein Titer kontrolliert.
Und es sieht ganz danach aus, dass man bei den Frauen, die gar keine oder keine vollständige Impfung haben, künftig nicht mehr auf irgendwelche Mindesttiter testen wird, sondern nur auf positiv oder nicht.
Und das, obwohl die Rötelnimpfung bei Frauen mit Kinderwunsch i. d. R. Jahrzehnte zurückliegt (20 Jahre, 30 Jahre oder sogar mehr).
Und das, obwohl eine Rötelninfektion bei Schwangeren das ungeborene Kind schwer schädigen kann (Rötelnembryopathie).
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So freihändig und über den Daumen gepeilt geht man in der Veterinärmedizin natürlich nicht mit dem Impfschutz um.
Da müssen regelmäßige Titerkontrollen her.
Hunde sind halt Privatpatienten.
Eine andere Erklärung für den zunehmenden Eiertanz mit Titermessung, Mindesttitern und Nachimpfungen können wir beim besten Willen nicht finden.
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Anmerkung 1:
Warum wurde in dieser Studie ein Titer von 1:80 als Mindestwert genommen?
Zwecks Rechtfertigung angeführt werden erstens eine sehr alte Studie (Carmichael et al. 1983; damals waren Parvo-Impfstoffe noch was relativ Neues) und zweitens, hüstel, hüstel, eine Pharma-Studie (Mouzin 2004).
In der Discussion wird aber immerhin auch dies hier erwähnt:
– Ein Hund könne auch ohne messbare Titer geschützt sein, und zwar wegen der zellvermittelten Immunität.
– In der Wissenschaft werde die Auffassung vertreten, dass JEDER messbare Antikörpertiter zeige, dass Immunität vorhanden sei.
Das sagt etwa auch die Vaccination Guideline Group des Welttierärzteverbands WSAVA: „The presence of serum antibody, regardless of titre, in an actively immunized dog over the age of 20 weeks is correlated with protection.“ (Sind Antikörper bei einem geimpften Hund im Alter von über 20 Wochen messbar, besteht Schutz, egal wie hoch der Titer ist; Hervorh. MP.)
Anmerkung 2:
Bei 37 (!) Prozent der Hunde wurden vorübergehende Impfnebenwirkungen beobachtet, vor allem Lethargie, aber auch Magen-Darm-Symptome (!).
Anmerkung 3:
In der Studie wurden, wie in anderen Studien auch, Unterschiede zwischen kleinen und großen Hunden gefunden. Dazu demnächst mehr.
PS: Runde Zahl – dies hier ist der 300. Beitrag in diesem Blog.
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