Titerwahn: Jetzt auch für Katzen


Nach der Parvo-Titerstudie bei Hunden haben Münchener Hochschulveterinäre Ende 2017 auch eine Parvo-Titerstudie für Katzen vorgelegt (Bergmann et al. 2017). 

Felines Parvovirus = Katzenseuche-Erreger, verwandt mit dem Parvovirus des Hundes

Ziel war wie bei der Hundestudie, die Titerei zu propagieren.

In der Kleintiermedizin

mit ihrer aus wissenschaftlicher Sicht peinlichen Historie der
jährlichen Nachimpferei gegen alles und jedes


gilt ein Plädoyer für Titerkontrolle statt Wiederholungsimpfung ja bereits als fortschrittlich, wenn nicht gar revolutionär. 

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Zur Studie: Gemessen wurden Seuche-Titer (also die Konzentration von Seuche-Antikörpern) bei 112 Katzen aus Privathaltung, deren letzte Impfung mindestens ein Jahr zurücklag oder die noch nie eine hatten. 

Getitert wurde vor der Nachimpfung sowie an Tag 7 und Tag 28 nach der Nachimpfung (mit einem Dreifachprodukt Seuche-Schnupfen). 


Als ausreichend wurde ein Titer von mindestens 1:40 festgesetzt (Hämagglutinationshemmtest, HI). 


72 der 112 waren mindestens einmal gegen Seuche geimpft worden. 


Nur 27,8 Prozent von den 72 waren leitliniengemäß geimpft worden.


Leitlinie: drei Seuche-Impfungen im Welpenalter, plus vierte Impfung ein Jahr danach, dann alle drei Jahre 

36 Katzen waren nach Angaben der Tierhalter noch nie geimpft worden. 


64,3 Prozent der Katzen hatten den geforderten Seuche-Mindesttiter. 

Alle Katzen wurden (nach-) geimpft. 

51,7 Prozent der Katzen reagierten NICHT adäquat auf die Nachimpfung. Sie hatten also gar nichts davon. 


„Adäquat“: Anstieg des Antikörperspiegels um zwei Titerstufen 

16 von 36 Katzen ohne Impfvorgeschichte hatten Seuche-Antikörper von mindestens 1:40.


Sie hatten also keine Impfantikörper, sondern Antikörper erworben durch Kontakt mit Seuchewildvirus oder durch Kontakt mit Hundeparvovirus. 

Fünf Katzen ganz ohne oder mit niedrigem Antikörperspiegel reagierten überhaupt nicht auf die Nachimpfung. 


Alles wenig überraschend. 


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Überraschend sind hingegen ein paar Aussagen, die in diesem Paper en passant gemacht werden. 

1. Die Studienautoren werfen die Frage auf, ob man bei Seuche wirklich eine ganze Impfserie für die Immunisierung braucht. EINE Dosis könne genügen. 

Hoppela. Ist da jemandem ein immunologisches Licht aufgegangen?

Natürlich reicht bei Seuche-Lebendimpfstoffen EINE Dosis, wenn das Tier keine mütterlichen Antikörper mehr hat. Genauso wie bei der Parvo-Immunisierung von Hunden.


2. Die Studienautoren merken an, dass Seuche-Impfungen, besonders wenn Totimpfstoffe verwendet werden, Reaktionen an der Impfstelle verursachen können, die sich zu „Injektionsstellensarkomen“ entwickeln können.(*)

Wir würden den bösartigen Tumor natürlich Impfsarkom nennen und nicht „Injektionsstellensarkom“. 


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Abschließend empfehlen Bergmann und Ko-Autoren, geimpfte Katzen sollten künftig nicht mehr nachgeimpft, sondern getitert werden.

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Warum eigentlich? 

Unsere Antwort: 

Damit diejenigen Tierärzte, die bisher von der überflüssigen Nachimpferei gelebt haben, in Zukunft von der Titerei leben können.  

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Wie schon öfters angemerkt in diesem Blog: 

Wir glauben an diese Titerei erst dann, wenn unser Hausarzt anfängt, regelmäßig unsere Masern-Mumps-Röteln-Tetanus-usw.-usf.-Titer zu kontrollieren. 

Bisher tut er das nicht. Woher weiß er dann, ob wir noch Antikörper haben?

Ach so, er weiß es gar nicht

Er und die zuständige Impfkommission verlassen sich einfach darauf, dass der Impfschutz bei allen Leuten ungefähr gleich lang hält. 

Ein Null-acht-fünfzehn-Impfprogramm also. 

Typisch Humanmedizin, da kommt’s nicht so aufs Individuum an, gell?

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Bei Katzen geht das natürlich nicht. Schließlich sind sie Privatpatienten

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Zum Schluss noch ein Stein des Anstoßes.  

Als Mindesttiter wird in der Studie 1:40 verlangt (Messmethode HI). 

Mit welcher Begründung?

Antwort: mit gar keiner. 

„Antikörpertiter von mindestens 1:40 wurden als protektiv gegen Katzenseuche betrachtet“, heißt es ohne weitere Erläuterung (Übers. MP). 

In Klammern folgt der Verweis auf drei ältere Studien: Lappin 2002, Scott/Geissinger 1999, Mouzin 2004

Steht bei Lappin 2002 was von mindestens 1:40? Nein. Lappin hat als Mindesttiter 1:10 angesetzt (ebenfalls HI). 

Scott/Geissinger 1999 hatten eine andere Messmethode (Virusneutralisation), da steht auch nichts von 1:40. 

Nur Mouzin 2004 fand auch, dass es mindestens 1:40 sein müssen. Und Mouzin 2004 ist – rein zufällig – eine Herstellerstudie. 

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Bergmann und Ko-Autoren erwähnen immerhin, dass „zu niedrige“ oder gar nicht messbare Titer bei geimpften Katzen nicht bedeuten, dass sie keinen Schutz haben. Sie hätten wahrscheinlich zelluläre Immunität. 

An der Stelle hätten sie ruhig ein interessantes Ergebnis der Lappin-Studie referieren können:

Lappin hat Titer an Katzen aus Privathaltung und an Laborkatzen gemessen, deren Impfung unterschiedlich lange her war. 

Dann hat er geimpfte und ungeimpfte Laborkatzen einer Belastungsinfektion mit scharfem Seuchevirus ausgesetzt. 

Die ungeimpften Laborkatzen infizierten sich. 

Alle geimpften Laborkatzen waren geschützt. Auch diejenigen, deren Titer unter 1:10 lag, also negativ war. 

Lappin: 

„Ein negativer Antikörpertiter für Seuche bei geimpften Katzen hatte einen Vorhersagewert von Null“ (Übers. und Hervorh. MP).

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Wozu also nachimpfen?

Und wozu titern?


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Seufz. Manchmal fragen wir uns, wann die Kleintiermedizin endlich wieder an ihren Kenntnisstand der 1950er Jahre anknüpfen wird. 

Denn damals wussten Tierärzte, dass eine oder zwei Seuche-Impfungen fürs ganze Katzenleben reichen. Das stand in der Fachliteratur.  



* Die allermeisten Seuche-Impfstoffe (ob einzeln oder in Kombination mit Schnupfen usw.) sind Lebendvakzinen. Ausnahme: die Fevaxyn-Produkte (die wir nie geben lassen würden) 

©haustiereimpfenmitverstand.blogspot.de/

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