„Neue Grundimmunisierung“. Seufz.

Seit drei Monaten liegen die

„Empfehlungen zur guten Impfpraxis in der Veterinärmedizin“

der Ständigen Impfkommission Vet

auf unserem Schreibtisch.

Bevor sie anfangen zu riechen, wollen wir nun ein paar Bemerkungen dazu machen, und zwar zum Abschnitt über „Nachimpfung bei Überschreitung des Impfintervalls“.

 

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Stein des Anstoßes ist die „neue Grundimmunisierung“.

Die ist unseres Wissens in der Humanmedizin unbekannt, aber die Stiko Vet will partout nicht davon lassen. Jedenfalls nicht für Impfstoffe wie Lepto oder Katzenschnupfen.

Einerseits zitiert die Stiko Vet ihr humanmedizinisches Gegenstück, die beim Robert-Koch-Institut angesiedelte Stiko, mit dem Grundsatz: „Jede Impfung zählt.“

Andererseits aber suggeriert die Stiko Vet, dies gelte nicht generell, sondern nur für Humanimpfstoffe wie Mumps, Masern und Röteln, „die sehr stabile, langlebige Immunantworten“ induzieren.

Und das stimmt nicht. 

Die Aussage der Stiko bezieht sich NICHT nur auf Viruslebendimpfstoffe wie die gegen Masern-Mumps-Röteln. Vielmehr ist sie ganz allgemein gehalten.

Nachlesen kann man das hier auf der Website der Stiko beim Robert-Koch-Institut.

Oder auch hier (wo es um Diphtherie-Impfungen geht, also um einen bakteriellen Totimpfstoff).

In der Humanmedizin wird NICHT „neu grundimmunisiert“.

 

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Aber in der Kleintiermedizin soll „neu grundimmunisiert“ werden, im Fall der Katzenschnupfenimpfung laut Stiko Vet „bei Überschreitung des Impfintervalls von mehr als 21 Tagen“.

Wow. Drei Wochen über der Zeit, und rums, der ganze Impfschutz ist wie weggehext.

Dabei gibt es laut Stiko Vet „keine gesicherten Erkenntnisse“ darüber, „ob oder ab wann bei Impfungen, bei denen nur von einer Dauer der Immunität von bis zu einem Jahr ausgegangen wird, eine erneute Grundimmunisierung erforderlich ist“.

Anders gesagt: Bei den (angeblichen) Ein-Jahres-Impfungen, etwa Lepto oder Katzenschnupfen, weiß man nicht, ob eine „neue Grundimmunisierung“ überhaupt nötig ist und wenn ja, ab wann.

Und weil man das nicht weiß, empfiehlt die Stiko eine „neue Grundimmunisierung“ bei 21 Tagen Überschreitung (Katzenschnupfen), bzw. sechs Monaten (Lepto).

Eine wissenschaftliche Begründung wird nicht gegeben, nicht für die „neue Grundimmunisierung“, nicht für die sechs Monate und und auch nicht für die 21 Tage.

Auf Seite 11 ihrer „Empfehlungen zur guten Impfpraxis“ beruft sich die Stiko Vet lediglich auf das „European Consensus Statement on Leptospirosis“ von 2015.

So, und findet man in diesem Consensus-Statement eine wissenschaftliche Begründung für „neue Grundimmunisierung“ gegen Lepto?

Nein, findet man nicht. Man findet nur den Konsens, dass bei Überschreitung des Impfintervalls von sechs Monaten neu grundimmunisiert werden soll. Par ordre de moufti oder: „Weil wir es sagen!“

Wie so oft in der Kleintiermedizin: Eminenz statt Evidenz.

 

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Im Abschnitt über „Abweichungen vom empfohlenen Impfschema bei der Katze“ wird es vollends absurd. Bis auf eine Ausnahme handelt es sich beim Katzenschnupfen um Lebendimpfstoffe. Die braucht man nur einmal zu geben, sofern das Tier 20 Wochen oder älter ist. Daher, schreibt die Stiko Vet, reiche für die „neue Grundimmunisierung“ bei Überschreiten des Beipackzettel-Nachimpfintervalls eine einmalige Impfung aus.

Aha. In der Humanmedizin würde man das einfach Auffrischimpfung nennen. In der Kleintiermedizin kommt das jedoch als „neue Grundimmunisierung“ daher.

 

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Ein weiterer Punkt muss noch angesprochen werden, nämlich das grundsätzliche Problem mit den Impfstoffen, bei denen „nur von einer Dauer der Immunität von bis zu einem Jahr ausgegangen wird“.

„Ausgegangen“.

In diesem Wörtchen offenbart sich das ganze Elend der fehlenden Evidenz in der Kleintierimpferei.

Sollte es nicht wenigstens stutzig machen, dass es am deutschen (und europäischen) Markt Katzenschnupfenimpfstoffe mit einem Jahr und solche mit drei Jahren Nachimpfempfehlung gibt?

Ist es immunbiologisch plausibel, dass Produkte, die sich nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden, so unterschiedlich lange schützen?

Und wieso haben in den USA alle namhaften Hersteller von Katzenschnupfenimpfstoffen bereits um das Jahr 2000 herum in ihrer Werbung versichert, dass der Schutz drei Jahre hält?

(Dabei ist auch das mit den drei Jahren zweifelhaft, s. zum Beispiel hier.)

 

 

PS: In der Consensus-Version von 2015 gibt es, wie erwähnt, keine einzige wissenschaftliche Referenz zur neuen Grundimmunisierung und zur Sechs-Monats-Frist.  Aber bei der nächsten Version ihres „European Consensus Statement on Leptospirosis“ können sich die Herrschaften ja auf die deutschen Empfehlungen von 2018 berufen, dann haben sie an der Stelle wenigstens eine Fußnote. Pingpong mit Belegen, die gar keine sind – in der pharmanahen Medizin nicht selten.

PPS: Wie lange wird es noch dauern, bis sich auch die Stiko Vet dazu bequemt, mögliche Interessenkonflikte, also Pharma-Verflechtungen ihrer Mitglieder offenzulegen? Das ist in der Humanmedizin schon lange Usus. Es ändert natürlich nichts daran, dass Leute mit solchen Pharma-Beziehungen haufenweise in Leitlinien-Kommissionen sitzen; aber man hat es dann wenigstens schwarz auf weiß.

 

 

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