Allgemeine Ratgeber-Foren mögen nützlich sein, wenn es darum geht, wie man am besten die Flecken aus der Tischdecke rauskriegt. Für Fragen zum Thema Tollwutimpfung sind sie erfahrungsgemäß keine gute Adresse, da sollte man sich besser an Tierhalter-Foren wenden.
Die heutige Blütenlese: Tierhalterin fragt, ob ihre neue Katze gegen Tollwut geimpft werden muss. Wie so oft, antworten vor allem Leute, die sich mit dem Thema, äh, nicht so gut auskennen, aber sofort mit den bedrohlichsten Szenarien zur Stelle sind.
Andere europäische Länder wie Italien, Spanien und Polen sind nicht tollwutfrei.
Oha, seit wann grenzen Spanien und Italien direkt an Deutschland? Was ist mit Frankreich und Österreich, gibt’s diese – tollwutfreien – Länder nicht mehr? Spanien hatte unseres Wissens noch nie ein Wildtollwutproblem, daher brauchen wir keine Angst zu haben, dass sich tollwütige spanische Füchse auf den langen Weg nach Deutschland machen und Tollwut einschleppen. Die vom Osten kommende Fuchstollwut ist nur bis Frankreich gelangt (und dort durch Köderimpfung längst erfolgreich bekämpft worden). (Siehe Anmerkung unten.) Was Polen betrifft: Da tritt Tollwut nur noch in den östlichen Landesteilen auf und wird mit Köderimpfaktionen bekämpft, wie es die EU allen betroffenen Mitgliedsstaaten vorschreibt.
Weiter geht’s in der Expertenrunde:
Es gibt hier in Baden-Württemberg z. B. immer wieder Tollwut-Warnungen. In anderen Bundesländern wird das sicher nicht anders sein.
Warnungen, die entweder lange zurückliegen oder frisch halluziniert wurden. Weder in Ba-Wü noch sonstwo in Deutschland gibt es Tollwut, daher gibt es auch nirgends Tollwut-Warnungen. Vereinzelt wird über Fledermaustollwut informiert, und das ziemlich unaufgeregt.
Eine weitere Fachperson wartet sogar mit einer amtlichen Quelle auf, nämlich mit Karten der Weltgesundheitsorganisation zur Verbreitung von Tollwut:
Anmerkung: In einer Zuschrift wurde Anstoß genommen an dem Satz
Die vom Osten kommende Fuchstollwut ist nur bis Frankreich gelangt
mit der Bemerkung: „Ich glaub‘, Frankreich und Spanien liegen westlich von Deutschland.“
Ja, und? Da hat offensichtlich jemand etwas nicht verstanden.
Die Fuchstollwut hat sich von Osten kommend (Polen) nach Mittel- und Westeuropa ausgebreitet, und zwar seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihre maximale Ausbreitung nach Westen hatte die Fuchstollwut 1982, als sie den Osten Frankreichs erfasst hatte und südöstlich bis ins Val d‘Isère vorgedrungen war.
Nach Spanien ist die Fuchstollwut niemals gelangt. (Daher ist es Unfug zu behaupten, dass Spanien „nicht tollwutfrei“ sei.) Auch Italien war von Fuchstollwut relativ wenig betroffen, nämlich nur in den nördlichen Landesteilen.
(Der Vollständigkeit halber: Im ersten Quartal 2012 gab es einen Fall von Hundetollwut in Spanien – aber nicht auf der Iberischen Halbinsel, sondern in der nordafrikanischen Stadt Melilla, einer spanischen Exklave. In Nordafrika ist Hundetollwut nach wie vor ein großes Problem. Im Nordosten Italiens gab es in der jüngsten Vergangenheit Tollwutfälle durch Füchse, die über Slowenien aus Kroatien eingewandert waren, daher wurden in Nordostitalien und Slovenien große Köderimpfaktionen durchgeführt.)
Von der Fuchstollwut zu unterscheiden ist die urbane Tollwut = Hundetollwut. Sie trat jahrhundertelang praktisch überall in Europa auf, auch in Ländern, die später von der Ausbreitung der Fuchstollwut nicht betroffen waren, zB Spanien und England. Die urbane Tollwut wurde durch Kontrolle der (Streuner-) Hundepopulation und durch Impfung ausgerottet. Anders ist die Lage in Asien und Afrika, wo die Hundetollwut immer noch verbreitet ist.
Wir haben es also mit drei verschiedenen Tollwut-Zyklen (mit drei unterschiedlichen Hauptüberträgern) zu tun:
1. urbane Tollwut/Hundetollwut: in Europa ausgerottet
2. Fuchstollwut: in den davon betroffenen Ländern Mitteleuropas durch Köderimpfung eliminiert, in Teilen Ost- und Südosteuropas aber noch häufig
3. Fledermaustollwut